Schularick: Krieg zum Wohle des deutschen Volkes
Der Ukrainekrieg tobt seit fast drei Jahren. Während die Stimmen derer, die Verhandlungen fordern, immer lauter werden, hält der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Moritz Schularick eisern an einer militärischen Lösung fest. Die Argumente sind heute so wie zu Anfang – höchst brüchig. Ein offener Brief.
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schularick,
es gibt diesen Werbespruch der Volksbanken: „Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt.“ Das ist auch bei Ihnen offensichtlich der Fall. Und das ist gut so. Gute Wissenschaft ist auf starke Motivationen von Forschern angewiesen. Wissenschaft ist über die Erkenntnisinteressen der Forscherinnen an die Gesellschaft rückgebunden und Forscher müssen sich dem Diskurs über ihre Erkenntnisinteressen stellen. Doch was treibt Sie an? Geht es Ihnen um das Wohl der deutschen und europäischen Bürger?
Vielleicht erinnern Sie sich noch an mich. Ich hatte Sie im Mai 2022 als Vorstand der Freiburger Diskurse angeschrieben. Ich wollte Ihre Position zu den Sanktionen gegenüber Russland sowie Ihre politischen Zielsetzungen dahinter verstehen. Auslöser für meine Fragen war Ihr Artikel im Economist, in dem Sie für ein sofortiges Gasembargo warben. Ich wollte von Ihnen wissen, wieso Sie glauben, dass ein Gasembargo für uns verkraftbar sei, aber Russland schade. Ich wollte wissen, wieso Russland unser Geld braucht, um seine Soldaten bezahlen zu können, und ich wollte von Ihnen wissen, was denn Ihr Friedensziel ist. Sie waren so freundlich, auf alles zu antworten.
Sie – wie einige Ihrer Kollegen – sind davon ausgegangen, dass Deutschland eine agile Markwirtschaft hat, die sich schnell auf veränderte Umstände einstellen kann, während Russland sich nicht so schnell neu aufstellen würde, weil dafür erst neue Gasleitungen zum Beispiel nach China gebaut werden müssten.
Wir wissen heute, dass Sie und Ihre Kollegen sich geirrt haben. Unter den Sanktionen leidet insbesondere Deutschland, Russland scheint sich zu behaupten und gut dazustehen. Als Erzählung geistert immer noch durch die Medien- und Wissenschaftslandschaft die Behauptung, dass Russland „unsere Rubel“ brauche. Diese Geschichte teilen Sie. Dass dies nicht so ist und auch keine Inflationsgefahr besteht, wenn der russische Staat seine Soldaten durch monetäre Staatsfinanzierung statt durch Steuern auf Gas- und Ölimporte bezahlt, hat MAKROSKOP-Gründer Paul Steinhardt dargelegt. Sie sind auf meine entsprechenden Hinweise leider nicht eingegangen.
Ihre Ausführungen konnte ich für mich als Zeugnis einer Wissenschaft verbuchen, die mit Annahmen arbeitet, die ich nicht nachvollziehen kann. Hellhörig wurde ich, als Sie mir schrieben, worum es gehen müsse: Friedensziel müsse „die Schwächung der russischen Wirtschaft bis zum demokratischen Wandel“ sein. Ist es das, was Sie eigentlich umtreibt, die Erzwingung der Demokratie in Russland?
Und was schlugen Sie vor, als klar wurde, dass Ihr ursprünglicher Plan (mit einer agilen Marktwirtschaft in eine neue Welt ohne russisches Gas) nicht aufzugehen schien? Sie setzten auf Rüstung! Sie rechneten uns vor, dass dies gut sei für unser Land und unser Bruttoinlandsprodukt.
Unser Autor Günther Grunert hat sich das angeschaut und kommt zu einem ganz anderen Ergebnis:
- Während Sie darauf verweisen, dass unser BIP mit Rüstungsinvestitionen wächst, und zwar in der Höhe dieser Investitionen, zitiert Grunert Forschungen, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Diese Studien errechnen einen Multiplikator für Verteidigungsausgaben zwischen 0,6 und 1,2. Damit würde eine Steigerung der Verteidigungsausgaben um 1 Dollar zu einem Anstieg des BIP zwischen 0,6 Dollar und 1,2 Dollar führen. In neueren Untersuchungen liegen die Multiplikatoren tendenziell am unteren Ende dieses Spektrums.
- Entscheidend ist aber ein ganz anderer Punkt: Man muss Rüstungsausgaben mit anderen Ausgaben des Staates, insbesondere mit Investitionen in die Infrastruktur vergleichen. Der Panzer steht gleichsam in der volkswirtschaftlichen Sackgasse. Diese Maschine wirkt nicht auf die Ökonomie zurück. Sie fördert nicht die Produktivität der Gesellschaft. Rüstungsindustrie ist unreproduktiv. Andere Investitionen des Staates tragen zu einer Steigerung der Produktivität einer Gesellschaft bei. Dazu gehören jede reparierte Brücke, jedes neue Glasfaserkabel, jede neue Schule und jedes staatliche Forschungsprojekt. Solche Investitionen sind reproduktiv, sie wirken auf die Ökonomie zurück und führen deswegen auch zu einem höheren BIP-Wachstum als Rüstungsinvestitionen.
- Lange Zeit war es wohl so, dass Ergebnisse militärischer Forschung später zivil genutzt wurden. Nicht schön, aber notwendig? Gibt es technische Entwicklung nur, wenn es militärische Forschungsinteressen gibt? Das ist natürlich nicht der Fall. Wichtiger aber: Die Zeiten haben sich geändert. Heute profitiert die Rüstungsindustrie von der zivilen Forschung und nicht umgekehrt. Diese neue Entwicklung ignorieren Sie.
Ökonomische Argumente für mehr Rüstung gibt es wohl nicht.
Aber Sie setzen noch einen drauf. Nicht nur Rüstung, sondern auch Krieg sei gut für Deutschland. Ich habe mich zu diesem offenen Brief entschlossen, als ich auf Ihre letzte Publikation aufmerksam wurde, in der Ihr Kollege und Sie ökonomische Gründe suchen, warum wir diesen Krieg fortsetzen müssen. Es sei in unserem ureigensten deutschen Interesse. Die Fortsetzung des Krieges sei billiger als seine schnelle Beendigung.
Sie bauen offensichtlich schon für den Fall vor, dass Trump uns den Krieg in der Ukraine vor die europäischen Füße wirft. Das wird der „Dealmaker“ tun, wenn er einen Friedensdeal nicht erreicht oder auch nicht erreichen will (wer weiß das schon).
Sie wollen uns den Krieg als Mittel der Wohlfahrt schmackhaft machen. Sie werfen denjenigen, die auf die hohen Kosten des Krieges für Deutschland verweisen, „Populismus“ vor. Aber sind Sie es nicht, der den Populus an der Nase herumführt? Schauen wir es uns näher an:
Sie verweisen darauf, dass wir bisher „nur“ 10 Milliarden Euro Militärhilfe geleistet haben. Das sei im historischen Vergleich wenig. Etwas versteckt weisen Sie auch auf andere Hilfen hin, so dass es meines Erachtens redlicher wäre von den vom Außenministerium veröffentlichten rund 37 Milliarden Euro auszugehen. Das sei aber nichts im Vergleich zu den Kosten, die auf Deutschland zukämen, wenn wir der Ukraine keine Waffen mehr lieferten und Russland in Folge den Krieg gewinne. Dann würden die Ukrainer in Scharen das Land verlassen und gigantische Rüstungsanstrengungen notwendig, weil ein vor Kraft nur so strotzender Putin andere imperialistische Ziele ins Auge fassen werde.
Nehmen wir einmal an, Ihr Szenario stimmt. Verstehen Sie mich nicht falsch, es wäre ein furchtbares Szenario. Aber wenn ich in Ihrer ökonomischen Logik bleibe, müssten wir das doch alles als Ökonomen begrüßen: Der Wohnungsbau wird gewaltig angekurbelt, weil wir für die Ukrainer Wohnungen bauen müssen. Wird sogar der Fachkräftemangel beendet, bei all diesen gut ausgebildeten Ukrainern? Ja, und die Rüstungsindustrie kann richtig Fahrt aufnehmen. Warum interpretieren Sie auf einmal all dies als Kosten, während Sie früher zum Beispiel für Rüstungsinvestitionen eine Lanze gebrochen hatten, weil sie unser BIP puschen würden?
Ihr Kollege Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, verwies bereits Anfang des Jahres darauf, dass Deutschland für den Krieg mehr als 200 Milliarden Euro bezahlt hat. Denn der Krieg und die damit verbundenen Sanktionen haben uns 2022 und 2023 geschätzt jeweils 2,5 Prozentpunkte des BIP gekostet. 2024 und 2025 werden nicht besser. Wo sind bei Ihnen diese Zahlen?
Jeder zusätzliche Tag Krieg bedeutet weitere Zerstörung von Städten und Dörfern, von Infrastruktur, von Industrieanlagen und Wohnhäusern. Haben Sie die Kosten weiterer Jahre Zerstörung abgeschätzt? Wer wird dafür aufkommen müssen? Sicher Europa, sicher Deutschland! Haben Sie dafür auch eine Rechnung?
Wo bleibt Ihre Schätzung, wie viele zusätzliche Tote und Krüppel die Fortsetzung des Krieges bedeutet? Wie viele Familien ohne Väter und Mütter? Wie viele zusätzliche Traumata, die die Menschen ihr ganzes Leben begleiten? Bieten Sie uns dazu doch eine Güterabwägung an! Dann können wir in Ruhe überlegen, ob es uns wert ist, dass wir zur deutschen Entlastung weitere Tote in der Ukraine und in Russland in Kauf nehmen.
Nehmen Sie bitte noch die gigantischen, vom Krieg ausgelösten CO2-Emissionen hinzu – mit entsprechender monetärer Bewertung!
Ihre ökonomische Argumentation ist fragwürdig. Entscheidend ist aber, dass Sie aus den letzten drei Jahren Krieg nichts lernen wollen. Sie wollen das Spiel fortsetzen, das fast drei Jahre ohne Erfolg war.
Zunächst galt es die Russen zu besiegen, um sie aus der Ukraine zu vertreiben und am besten noch die Demokratie nach Moskau zu bringen. Inzwischen sind die Ziele bescheidener geworden. Es geht nur noch darum die Ukraine durch entsprechende militärische Hilfe in eine vorteilhaftere Position bei Friedensverhandlungen zu bringen und Russland zu zeigen, wo der Hammer hängt, wenn es mit seinem Imperialismus nicht aufhört.
Ich will nicht ausschließen, dass dies möglich ist. Plausibler scheint mir, dass es ohne Friedensverhandlungen entweder zu einem Dritten Weltkrieg kommt oder die Ukraine endgültig im Stich gelassen wird. Nicht nur die feigen Deutschen, sondern gerade die USA haben immer wieder darauf geachtet, dass Grenzen nicht überschritten werden – Grenzen, die zum Dritten Weltkrieg führen könnten. Für die Ukraine bedeutet dies unzureichende Waffenlieferungen, die sie als Verrat empfinden muss.
Russland und die Ukraine sind im März 2022 aufeinander zugegangen. Es war wohl Boris Johnson, der die Ukraine zurückgepfiffen und zur Fortsetzung des Krieges ermuntert hat. Hätte der Westen damals geschlossen die Ukraine unterstützt, damit es zu einem für sie guten Ergebnis kommt, wäre uns viel Elend erspart geblieben. Aber der Westen, insbesondere Großbritannien und die USA, wollten das nicht. Ob wir es heute noch schaffen, ein gutes Ergebnis für die Ukraine zu erreichen, ist mehr als fraglich. Aber immer mehr Waffen werden den Krieg nicht drehen. Die Ukraine wird nicht die Waffen bekommen, die sie gerne hätte, um Russland mehr zusetzen zu können.
Der Westen wird die Ukraine im Regen stehen lassen. Ihm ist das Risiko eines Dritten Weltkriegs zu groß. Und was noch wichtiger ist: Der Ukraine fehlen nicht nur Waffen, sondern auch Soldaten. Das ist der schlichten Tatsache geschuldet, dass es mehr Russen als Ukrainer gibt.
Deutschland und Europa brauchen eine Ökonomik, die den Menschen tatsächlich dient, und sie brauchen wieder Politiker, die die Interessen des eigenen Landes wahrnehmen, die die Interessen der anderen Staaten nachvollziehen können und die dem Frieden dienen wollen. Das sollte Sie und uns alle antreiben!
Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Röder
Geschäftsführer MAKROSKOP